Startseite Landesverband
Aktuelles

PM 25/20 v. 20.11.2020

Paritätischer Armutsbericht 2020: Armut in Deutschland auf Rekordhoch

Foto: Daniel von Appen/Unsplash

Der neue Paritätische Armutsbericht zeigt: Die Armutsquote in Deutschland hat mit mit 15,9 Prozent (rechnerisch 13,2 Millionen Menschen) einen traurigen Rekord und den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt in der Studie, alles deute darauf hin, dass die Auswirkungen der Corona-Krise Armut und soziale Ungleichheit noch einmal spürbar verschärfen werden. Der Verband wirft der Bundesregierung eine „armutspolitische Verweigerungshaltung“ vor und fordert unter der Überschrift „Gegen Armut hilft Geld“ eine sofortige Anhebung der finanziellen Unterstützungsleistungen für arme Menschen sowie armutsfeste Reformen der Sozialversicherungen. Auch in Niedersachsen ist nach einem zuletzt verzeichneten leichten Rückgang die Armutsquote wieder gestiegen.

„Die vorliegenden Daten zur regionalen Verteilung, zur Entwicklung und zur Struktur der Armut zeigen Deutschland als ein in wachsender Ungleichheit tief zerrissenes Land. Immer mehr Menschen leben ausgegrenzt und in Armut, weil es ihnen an Einkommen fehlt, um den Lebensunterhalt zu bestreiten und an unserer Gesellschaft gleichberechtigt und in Würde teilzuhaben. Volkswirtschaftliche Erfolge kommen seit Jahren nicht bei den Armen an, und in den aktuellen Krisen-Rettungspaketen werden die Armen weitestgehend ignoriert. Was wir seitens der Bundesregierung erleben, ist nicht mehr nur armutspolitische Ignoranz, sondern bereits bewusste Verweigerung“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Die Befunde sind alarmierend: Bei allen ohnehin seit Jahren besonders armutsbetroffenen Gruppen (z.B. Alleinerziehende, Arbeitslose, kinderreiche Familien) hat die Armut noch einmal zugenommen. Betrachtet man die Zusammensetzung der Gruppe erwachsener Armer ist der überwiegende Teil erwerbstätig (33,0 Prozent) oder in Rente (29,6 Prozent). Regional betrachtet wuchs die Armut im Vergleich zum Vorjahr praktisch flächendeckend. Positive Entwicklungen, wie zuletzt in den ostdeutschen Bundesländern zu beobachten, sind gestoppt.

Armutsgeografisch zerfällt Deutschland in zwei Teile: Im gut gestellten Süden haben Bayern und Baden-Württemberg eine gemeinsame Armutsquote von 12,1 Prozent. Der Rest der Republik, vom Osten über den Norden bis in den Westen, kommt zusammen auf eine Quote von 17,4 Prozent. Außerhalb von Bayern und Baden-Württemberg lebt durchschnittlich mehr als jede*r Sechste unterhalb der Armutsgrenze. Niedersachsen liegt mit 17,1 Prozent leicht unter dem Durchschnitt. Große Sorgen bereiten hier allerdings die sehr ländlichen Regionen im Nordwesten und Südosten: In Ostfriesland liegt die Armutsquote bei 20,7 Prozent – mehr als jede*r fünte Einwohner*in ist betroffen. In der Harzregion rund um Göttingen und Goslar liegt die Quote mit 20,2 Prozent kaum niedriger.

Der Verband warnt vor einer drastischen Verschärfung der Armut angesichts der aktuellen Corona-Pandemie. Besonders betroffen seien geringfügig Beschäftigte sowie junge Menschen, die Corona-bedingt schon jetzt von wachsender Arbeitslosigkeit betroffen sind. „Corona hat jahrelang verharmloste und verdrängte Probleme, von der Wohnraumversorgung einkommensschwacher Haushalte bis hin zur Bildungssegregation armer Kinder, ans Licht gezerrt. Eine zunehmende Zahl von Erwerbslosen stößt auf ein soziales Sicherungssystem, das bereits vor Corona nicht vor Armut schützte und dessen Schwächen nun noch deutlicher zutage treten“, so Ulrich Schneider.

Der Paritätische fordert die Umverteilung vorhandener Finanzmittel zur Beseitigung von Armut. „Deutschland hätte es in der Hand, seine Einkommensarmut abzuschaffen und parallel für eine gute soziale Infrastruktur zu sorgen. Es klingt banal und wird bei vielen nicht gern gehört: Aber gegen Einkommensarmut, Existenzängste und mangelnde Teilhabe hilft Geld“, so Schneider. Konkret seien eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und der Altersgrundsicherung (nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle auf mindestens 644 Euro), die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung nötig.

Den Bericht und eine detaillierte Suchfunktion zu Armutsquoten nach Postleitzahlen finden Sie unter:
www.der-paritaetische.de/schwerpunkte/armutsbericht/