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Zum Tag der Pflege: „Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung“
„Den Fachkräftemangel in der Pflege haben wir als Gesellschaft uns selbst zuzuschreiben“, sagt Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen, anlässlich des Internationalen Tags der Pflegenden am 12. Mai. „Nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung können wir dem etwas entgegensetzen.“
Im Pflegebereich fehlen schon heute fast 20.000 Arbeitskräfte. Die Situation wird sich weiter verschärfen, wenn Politik und Gesellschaft nicht radikal gegensteuern: 2035 werden etwa 5,6 Millionen Menschen in Deutschland in irgendeiner Weise pflegebedürftig sein. Bis dahin könnten dann sogar 500.000 Pflegekräfte fehlen – das ergibt sich aus einer schlichten Hochrechnung: Die Menschen in Deutschland werden immer älter, also brauchen auch mehr Menschen Pflege; es fangen aber nicht in gleichem Maße mehr Menschen eine Pflegeausbildung an, sondern im Gegenteil – die Ausbildungszahlen gehen zurück; und die Menschen, die bereits in der Pflege arbeiten, halten oft nicht bis zum Ruhestand durch. „Dadurch entsteht eine riesige Lücke“, sagt Kerstin Tack. „Von allein wird die sich nicht schließen.“
Die Auswirkungen sind bereits spürbar: Ambulante Pflegedienste nehmen keine neuen Patient*innen an oder müssen gar bestehende Verträge kündigen; stationäre Einrichtungen lassen Pflegeplätze ungenutzt, weil sie nicht alle Bereiche besetzen könnten; die Wartelisten werden immer länger. „Kurzfristig ist es kaum noch möglich, an einen Pflegeplatz zu kommen“, sagt Kerstin Tack. „Und die Preise steigen und steigen. Daran ändert auch die angekündige Pflegereform nichts. Die lässt nur die Versicherungsbeiträge steigen.“ In dieser Situation werden pflegende An- und Zugehörige über Gebühr belastet. Denn sie fangen notgedrungen auf, was das System „Dienstleistung Pflege“ nicht mehr leisten kann.
Was also tun? Der Pflegeberuf muss attraktiver werden – durch flexiblere Arbeitszeitmodelle, einen Bürokratieabbau, angemessene Bezahlung. Die Ausbildung muss flexibilisiert werden. „Die einjährige Ausbildung für Assistenzkräfte kann da einen wertvollen Beitrag leisten“, sagt Kerstin Tack über die entsprechenden Pläne des niedersächsischen Sozialministeriums. Außerdem muss Deutschland international um Pflegekräfte werben. „Wir brauchen endlich eine zielgerichtete Zuwanderungsstrategie“, sagt Kerstin Tack. „Der Fachkräftemangel betrifft ja nicht nur die Pflege, sondern fast alle Wirtschaftsbereiche. Ohne Zuwanderung bekommen wir das nicht in den Griff.“ Außerdem müssen pflegende An- und Zugehörige besser unterstützt werden. „Einen geliebten Menschen zu pflegen, darf nicht in die Armut führen und darf die Pflegenden nicht selbst krank machen.“ Eine Pflegezeit ähnlich der Elternzeit, ergänzende Unterstützung durch professionelle Pflegedienste, eine wohlwollende Begleitung durch die Kassen – es gibt viele Stellschrauben, um Menschen in dieser herausfordernden Situation zu unterstützen.
Der Internationale Tag der Pflegenden am 12. Mai jedes Jahres erinnert an den Geburtstag von Florence Nightingale, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Grundstein für die moderne Krankenpflege legte.