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PMS 35/19 v. 08.10.2019
„Die Leistungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche sind in ihrer Höhe nach wie vor unzureichend und in der bestehenden Form schlicht nicht geeignet, Kinderarmut zu bekämpfen, Teilhabe zu ermöglichen und Bildungsgerechtigkeit sicherzustellen“, sagt Birgit Eckhardt, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen e.V. Anlass für diese Kritik ist die Veröffentlichung der aktuellen Expertise der Paritätischen Forschungsstelle. Demnach profitierten zuletzt in Niedersachsen nur 12,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren im „Hartz-IV“-Bezug von den sogenannten „soziokulturellen Teilhabeleistungen“ des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT). Sieben von acht Kindern, die eigentlich Anspruch darauf hätten, wurden in der Praxis dagegen nicht erreicht. „Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Angebote der Jugendarbeit im Kinder- und Jugendhilfegesetz“, fordert Birgit Eckhardt. „Außerdem muss Deutschland eine bedarfsgerechte, einkommensabhängige Kindergrundsicherung einführen.“
Die bisherigen Reformen im Kampf gegen Kinderarmut bezeichnet die Paritätische Forschungsstelle, angesiedelt beim Paritätischen Gesamtverband, in ihrer Expertise als „Stückwerk“. Die kürzlich mit dem sogenannten „Starke-Familien-Gesetz“ in Kraft getretenen Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket seien allenfalls „Trostpflaster“, aber keine zufriedenstellende Lösung. Bisher kamen die soziokulturellen Teilhabeleistungen laut Expertise bei der großen Mehrheit der grundsätzlich leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 15 Jahren einfach nicht an. Die Studie belegt deutliche regionale Unterschiede, insgesamt ist aber in einem Großteil der Kommunen die durchschnittliche Quote bewilligter Anträge und festgestellter Ansprüche noch immer „niederschmetternd gering“. „Das Bildungs- und Teilhabepaket geht in seiner derzeitigen Form an der Lebensrealität von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien und an den Strukturen vor Ort vorbei“, sagt Birgit Eckhardt.
Dabei gibt es in Niedersachsen durchaus Beispiele, wie es besser geht: Im Landkreis Peine profitieren 32,3 Prozent der Leistungsberechtigten vom BuT, in der Stadt Wolfsburg 55,2 und im Landkreis Verden sogar sage und schreibe 94,1 Prozent. Die Zahlen aus der aktuellen Expertise bestätigen Ergebnisse aus dem vergangenen Jahr. „Das Land muss sich diese Best-Practice-Beispiele genau anschauen und daraus Leitlinien für alle Kommunen in Niedersachsen entwickeln“, sagt die Landesvorsitzende des Paritätischen. „Es kann nicht sein, dass Kinder und Jugendliche, die Unterstützung benötigen, in einem Landkreis einen Sportverein besuchen und Musikunterricht nehmen können, im Nachbarlandkreis bekommen sie aber keinen Zugang dazu. Diese Ungerechtigkeit muss ein Ende haben.“
Rückenwind bekommt der Paritätische durch das Bundesarbeitsministerium, das angekündigt hat, die umstrittenen Teilhabe-Gutscheine abschaffen zu wollen und durch eine pauschale Auszahlung von 15 Euro pro Monat zu ersetzen. Auch der Vorschlag des Verbandes nach Einführung eines verbindlichen Rechtsanspruchs auf Teilhabe im Kinder- und Jugendhilfegesetz wird von seiten des Ministeriums inzwischen unterstützt und hat Eingang in die Handlungsempfehlungen des BMAS-Zukunftsdialogs gefunden.
Sie finden die Expertise der Paritätischen Forschungsstelle anbei zum Download.