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Zwischen Pandemie und Inflation: Armut in Niedersachsen auf Rekordhoch
Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Armutsquote von 16,6 Prozent im zweiten Pandemie-Jahr (2021) einen traurigen neuen Höchststand erreicht. 13,8 Millionen Menschen müssen demnach hierzulande derzeit zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Pandemie. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet angesichts der aktuellen Inflation mit einer weiteren Verschärfung der Lage und appelliert an die Bundesregierung, umgehend ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg zu bringen, das bei den fürsorgerischen Maßnahmen ansetzt: Grundsicherung, Wohngeld und BAföG seien bedarfsgerecht anzuheben und deutlich auszuweiten, um zielgerichtet und wirksam Hilfe für einkommensarme Haushalte zu gewährleisten. Niedersachsen verzeichnet mehr Armutsbetroffene als der Bundesdurchschnitt.
„Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch. Noch nie wurde auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen und noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Während 2020 noch die verschiedenen Schutzschilde und Sofortmaßnahmen der Bundesregierung und der Länder dafür sorgten, dass die Armut trotz des wirtschaftlichen Einbruchs und des rapiden Anstiegs der Arbeitslosigkeit nur relativ moderat anstieg, seien die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie 2021 offenbar voll auf die Armutsentwicklung durchgeschlagen, so die Ergebnisse der Studie.
Auffallend ist der ungewöhnliche Zuwachs der Armut unter Erwerbstätigen, insbesondere Selbstständiger (von 9 auf 13,1 Prozent), die während der Pandemie vielfach finanzielle Einbußen zu erleiden hatten. Armutshöchststände verzeichnen auch Rentner*innen (17,9 Prozent) sowie Kinder und Jugendliche (20,8 Prozent).
In Niedersachsen liegt die Armutsquote mit 17,9 Prozent mittlerweile deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Im Vergleich zu 2020 hat die Armutsquote nochmal um 1,7 Prozent zugelegt. Beim Blick in die Fläche zeigt sich, dass die Armutsbetroffenheit regional differenziert betrachtet werden muss. Während das Umland von Hannover mit 14,8 Prozent deutlich hinter dem Landesdurchschnitt bleibt, liegen die Region Ostfriesland mit 20,2 Prozent oder die Landkreise Goslar, Osterode am Harz, Göttingen und Northeim mit 20,6 Prozent weit darüber.
„Armut ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das zu viele Menschen in Niedersachsen betrifft – vor allem Kinder“, sagt Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Niedersachsen. „Was wir heute sehen, sind die Folgen der Corona-Pandemie. Der Ukraine-Krieg und der damit einhergehende rasante Preisanstieg bei Wohnenergie und Lebensmitteln kommen erst noch auf uns zu. Aktuell tragen besonders Familien mit niedrigem Einkommen die höchste Inflationsbelastung. Wenn diese nicht zeitnah durch zusätzliche und zielgerichtete Entlastungen unterstützt werden, drohen erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen, mit Folgen für das ganze Land.“
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert insbesondere das jüngste Entlastungspaket als ungerecht und unzureichend. Die seit Herbst 2021 steigenden Lebenshaltungskosten führten zu einer dramatischen Vertiefung der Armut und verlangten entschlossene Hilfsmaßnahmen. „Pandemie und Inflation treffen eben nicht alle gleich. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung wie mit der Gießkanne übers Land zieht, Unterstützung dort leistet, wo sie überhaupt nicht gebraucht wird und Hilfe dort nur völlig unzulänglich gestaltet, wo sie dringend erforderlich wäre“, so Schneider. Nur zwei Milliarden Euro des insgesamt 29 Milliarden Euro schweren Entlastungspakets seien als gezielte Hilfen ausschließlich einkommensarmen Menschen zugekommen, kritisiert der Verband. Dazu würden die Einmalzahlungen durch die Inflation „aufgefressen“, noch bevor sie überhaupt ausgezahlt sind.
Der Paritätische fordert umgehend ein neues Maßnahmenpaket, das bei den fürsorgerischen Leistungen ansetzen müsse, konkret den Regelsätzen in der Grundsicherung, bei Wohngeld und BAföG. „Wir brauchen dringend ein weiteres Entlastungspaket, eines das zielgerichtet ist, wirksam und nachhaltig“, fordert Ulrich Schneider. „Grundsicherung, Wohngeld und BAföG sind nach unserer Auffassung die wirksamsten Hebel um schnell zu einer Entlastung unterer Einkommen zu gelangen, die nachhaltig wirkt und nicht nach kurzer Zeit wieder verpufft. Es geht darum, unsere letzten Netze sozialer Sicherung wieder höher zu hängen.“
► Den kompletten Armutsbericht und weitere Informationen finden Sie auf der Kampagnenseite www.der-paritaetische.de/armutsbericht