Aktuelle Rechtsprechung
Sehr geehrte Mitglieder des Arbeitskreis Betreuungsvereine,
es ist mal wieder an der Zeit, Sie über die aktuelle Rechtsprechung rund um das Betreuungswesen zu informieren:
1) BGH, Beschlüsse (XII ZB 290/18 und XII ZB 291/18) vom 20.03.2019 - zum Schonvermögen bei Begleichung der Betreuervergütung
Der BGH hat in zwei Beschlüssen über die Höhe des Schonvermögens der Betreuten bei der Begleichung der Betreuervergütung entschieden.
Leitsatz:
"Auch wenn ein Betreuter Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen bezieht, hat er sein Vermögen für die Vergütung seines Betreuers insoweit einzusetzen, als es den allgemeinen Schonbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII von derzeit 5.000 € übersteigt. Der erhöhte Vermögensfreibetrag nach § 60 a SGB XII von bis zu 25.000 € findet dabei keine Anwendung."
Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei der Zahlung der Betreuervergütung aus der Staatskasse gerade nicht um eine Form von Eingliederungshilfe, sondern eher - wenn überhaupt - um eine Hilfe in besonderen Lebenslagen nach § 73 SGB XII handele. Daher könne § 60 a SGB XII bei der Ermittlung des für die Betreuervergütung einzusetzenden Vermögens keine Berücksichtigung finden. Hierfür spräche sowohl der Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus der Gesetzgebungsgeschichte erschließt, als auch Sinn und Zweck der Regelung sowie die Gesetzessystematik. (BGH XII ZB 291/18 Rdn. 15, 16)
Bereits die systematische Stellung des § 60 a SGB XII im Sechsten Kapitel (Eingliederungshilfe für behinderte Menschen) und nicht im Elften Kapitel (Einsatz des Einkommens und des Vermögens) des Zwölften Sozialgesetzbuchs lässt darauf schließen, dass der zusätzliche Vermögensfreibetrag nur bei Leistungen der Eingliederungshilfe und nicht bei anderen Sozialleistungen, wie der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Übernahme der Betreuervergütung durch die Staatskasse, zu berücksichtigen ist. (Rdn. 28)
2) BGH, Beschluss vom 20.03.19 (XII ZB 334/18) - zur Eignung eines Betreuers in fachlicher und persönlicher Hinsicht
Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tage äußert sich der BGH zur fachlichen und persönlichen Eignung eines Betreuers.
Leitsatz:
a) Ein Betreuer ist nur dann geeignet im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB, wenn er neben der fachlichen Qualifikation auch in persönlicher Hinsicht zur Führung der Betreuung geeignet ist.
b) Die persönliche Eignung eines Betreuers ist unteilbar und muss sich daher auf alle ihm übertragenen Angelegenheiten erstrecken.
Wie im Wortlaut des § 1897 Abs. 1 BGB ("rechtlich zu besorgen", "persönlich zu betreuen") schon anklingt, enthalte der Begriff der Eignung eines Betreuers eine sachliche/fachliche und eine persönliche Komponente. Während die sachliche Eignung in Bezug auf die konkreten Aufgaben, die im Rahmen des gerichtlich festgelegten Aufgabenkreises anfallen können, vorliegen muss, betreffe die persönliche Eignung alle Aufgabenbereiche (Bienwald/Sonnenfeld/?Harm/Bienwald Betreuungsrecht 6. Aufl. § 1897 Rn. 71).
Denn der Betreuer müsse in jedem Fall mit der von ihm betreuten Person persönlichen Kontakt herstellen und im jeweils erforderlichen Umfang aufrechterhalten (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 68). Diepersönliche Eignung müsse also neben den Fähigkeiten zur Besorgung spezifischer Angelegenheiten vorliegen. Wie die persönliche Eignung betreffe auch eine persönliche Unzuverlässigkeit alleAufgabenbereiche. Denn die in einem Lebensbereich sichtbare Unzuverlässigkeit eines Betreuers begründe Zweifel auch für alle anderen Angelegenheiten.
3) BGH, Urteil vom 02.04.2019 (VI ZR 13/18) - kein Schadensersatz wegen lebensverlängernder Maßnahmen, wenn sich der mutmaßliche Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt
Der BGH hat entschieden, dass es keinen immateriellen Schaden darstellt, wenn lebensverlängernde Maßnahmen ergriffen wurden, die ggf. nicht dem Willen des Betroffenen entsprechen. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
Aus diesem Grund hat der BGH die Schadensersatzklage des Sohnes aus ererbtem Recht abgewiesen.
Dazu die Pressemeldung des BGH:
Sachverhalt:
Der 1929 geborene Vater des Klägers (Patient) litt an fortgeschrittener Demenz. Er war bewegungs- und kommunikationsunfähig. In den letzten beiden Jahren seines Lebens kamen Lungenentzündungen und eine Gallenblasenentzündung hinzu. Im Oktober 2011 verstarb er. Der Patient wurde von September 2006 bis zu seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Er stand unter Betreuung eines Rechtsanwalts. Der Beklagte, ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, betreute den Patienten hausärztlich. Der Patient hatte keine Patientenverfügung errichtet. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen. Es war damit nicht über die Fallgestaltung zu entscheiden, dass die künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen erfolgte.
Der Kläger macht geltend, die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten geführt. Der Beklagte sei daher verpflichtet gewesen, das Therapieziel dahingehend zu ändern, dass das Sterben des Patienten durch Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zugelassen werde. Der Kläger verlangt aus ererbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.
Bisheriger Prozeßverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht diesem ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen. Der Beklagte sei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gehalten gewesen, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern, was er unterlassen habe. Die aus dieser Pflichtverletzung resultierende Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen Schaden dar.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Arzthaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat hat auf die Revision des Beklagten das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte Pflichten verletzt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.
Vorinstanzen:
Landgericht München I – Urteil vom 18. Januar 2017 – 9 O 5246/14
Oberlandesgericht München – Urteil vom 21. Dezember 2017 – 1 U 454/17
4) LG Dortmund, Urteil v. 11.01.2017 – 7 O 427/15 - Schadensersatzanspruch gegen Vorsorgebevollmächtigten
Das Landgericht Dortmund hat über den Schadensersatzanspruch eines Heimträgers gegen die Vorsorgebevollmächtigte (Tochter) wegen des Heimvertragsschlusses in Kenntnis der vertragswichtigen Umstände der Weiterleitung der Rentenzahlung vom Konto der Vertretenen an den Heimträger.
Leitsätze:
1. Wirkt ein Vorsorgebevollmächtigter an der Begründung eines Vertragsverhältnisses des Vertretenen mit (hier: Abschluss eines Heimvertrages), so begründetdiese Mitwirkung auch ein vorvertragliches Schuldverhältnis zum Vertragspartner des Vertretenen. Aus einer schuldhaften Pflichtverletzung des Vorsorgebevollmächtigten folgt dann ein Anspruch des Vertragspartners auf Schadenersatz.
2. Wurde bei Abschluss eines Heimvertrages unter Mitwirkung eines Vorsorgebevollmächtigten durch den Träger des Pflegeheims ausdrücklich erklärt, dass der Vertragsschluss nur erfolgen kann, wenn der Vorsorgebevollmächtigte sicherstellt, dass der vom Pflegebedürftigen zu leistende Heimkostenanteil von dessen Konto auch tatsächlich regelmäßig gezahlt wird und diese Zahlung durch den Vorsorgebevollmächtigten zugesichert, so begründet eine spätere Nichtvornahme der Zahlung einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten gegen den Vorsorgebevollmächtigten.
Zur Begründung führt das Gericht aus: Ein Schuldverhältnis mit den Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB kann gemäß § 311 Abs. 3 BGB auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, aber in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nehmen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflussen. Der BGH hat in diesem Zusammenhang u.a. in seinem Urteil vom 8.12.1994 (III ZK 175/93, veröffentlicht in: juris) klargestellt, dass zu dem Kreis derartiger Personen grundsätzlich auch der gesetzliche Betreuer zählen kann. Entsprechendes muss nach Auffassung der Kammer auch für den Vorsorgebevollmächtigten gelten, welcher letztlich an die Stelle des gesetzlichen Betreuers tritt.
5) LG Heilbronn, Beschluss vom 07.11.2018 (Ri 1 T 250/18) zur Rechnungslegungspflicht des Betreuers
Der Beschluss befasst sich mit der Frage, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Konto um ein Taschengeldkonto handelt, das nicht der Rechnungslegungspflicht unterfällt.
6) LSG Darmstadt, Urteil vom 13.03.2019 - L 4 SO 193/17 - zur Kostenersatzpflicht des Betreuers
Leitsatz:
Zur Kostenersatzpflicht des Betreuers, wenn der Sozialhilfeträger auf Grund eines Unterlassens des Betreuers (hier: unzureichende Sorge für eine ausreichende Kontodeckung mit der Folge, dass auf Grund der Nichtzahlung von Beiträgen die freiwillige Mitgliedschaft der Betreuten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung endete) Sozialhilfeleistungen an die Betreute erbringen muss.
(Die Revision ist beim BSG ist unter dem Az B 8 SO 2/19 R anhängig)
Der Kostenerstattungsanspruch wurde abgelehnt, da die Voraussetzungen des Regresses nach § 103 SGB XII nicht vorliegen. Nach der genannten Vorschrift ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat. Das Verhalten, das den Ersatzanspruch begründen soll, muss sich anerkanntermaßen (zudem) als sozialwidrig darstellen.
Das Bundessozialgericht hat den Begriff der Sozialwidrigkeit, der in der Literatur - durchaus nachvollziehbar – wegen seiner geringen Konturiertheit kritisiert worden ist (vgl. Conradis, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 103 Rn. 6), in zwei Entscheidungen zum Zweiten Buch Sozialgesetzbuch näher bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 39/12 R –, BSGE 112, 135 und BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R –, SozR 4-4200 § 34 Nr. 2 [beide zu Fällen der Inhaftierung, die zum Verlust des Arbeitsplatzes und daran anschließend zur Hilfebedürftigkeit der Angehörigen des Inhaftierten führten]).
Danach ist ein Verhalten (nur) dann sozialwidrig, wenn es (1.) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung beziehungsweise den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2.) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit beziehungsweise der Leistungserbringung gerichtet war beziehungsweise hiermit in „innerem Zusammenhang“ stand oder (3.) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand. Diese Voraussetzungen lagen im entschiedenen Fall nicht vor.
7) Urteil des BVerfG v. 15.04.2019 (2 BvQ 22/19) - Keine Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten und wegen Schuldunfähigkeit untergebrachte Straftäter bei der Europawahl
Das Urteil liegt jetzt in vollständiger Fassung vor.
8) Urteile des BGH v. 03.07.2019 (5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) - Freisprüche in zwei Fällen von assistierter Selbsttötung
Der BGH begründet seine Entscheidungen wie folgt:
Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Aufgrund der den Angeklagten bekannten Freiverantwortlichkeit der Suizide waren sie nicht zu ihrer Rettung verpflichtet gewesen. Anhaltspunkte für eine nach Einnahme der Medikamente eingetretene Änderung des Willens der Suizidenten konnte jeweils nicht feststellen.
Über eine Strafbarkeit wegen geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) war nicht zu entscheiden, da die Strafrechtsnorm zum Zeitpunkt des Handelns der Angeklagten noch nicht existierte.
Dazu die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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Nr. 090/2019 vom 03.07.2019
Freisprüche in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbsttötungen bestätigt
Urteile vom 3. Juli 2019 - 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18
Das Landgericht Hamburg und das Landgericht Berlin haben jeweils einen angeklagten Arzt von dem Vorwurf freigesprochen, sich in den Jahren 2012 bzw. 2013 durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnahmen zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen wegen Tötungsdelikten und unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht zu haben.
Hamburger Verfahren
Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Hamburg litten die beiden miteinander befreundeten, 85 und 81 Jahre alten suizidwilligen Frauen an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte der Angeklagte, ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Er hatte an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ es auf ihren ausdrücklichen Wunsch, nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten.
Das Landgericht Hamburg hat den Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Der Angeklagte sei aufgrund der ihm bekannten Freiverantwortlichkeit der Suizide auch nicht zu ihrer Rettung verpflichtet gewesen. Anhaltspunkte für eine nach Einnahme der Medikamente eingetretene Änderung des Willens der beiden Frauen konnte das Landgericht nicht feststellen.
Berliner Verfahren
Gemäß den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Berlin hatte der Angeklagte als Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem in hoher Dosierung tödlich wirkenden Medikament verschafft. Die 44-jährige Frau litt seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung und hatte den Angeklagten – nachdem sie bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen hatte – um Hilfe beim Sterben gebeten. Der Angeklagte betreute die nach Einnahme des Medikaments Bewusstlose – wie von ihr zuvor gewünscht – während ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung ihres Lebens leistete er nicht.
Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit sei er nicht verpflichtet gewesen. Denn die freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Verstorbenen habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der 5. ("Leipziger") Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt.
Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen haben die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden "Lebensmüdigkeit" und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen.
Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.
Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde nicht in strafbarer Weise verletzt. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten.
Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) war das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht zu messen, da dieser zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft war.
Dass die Angeklagten mit der jeweiligen Leistung von Hilfe zur Selbsttötung möglicherweise ärztliche Berufspflichten verletzt haben, ist für die Strafbarkeit ihres Verhaltens im Ergebnis nicht von Relevanz.
Die Urteile des Landgerichts Hamburg und des Landgerichts Berlin sind damit rechtskräftig.
Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18
Vorinstanz: Landgericht Hamburg - Urteil vom 8. November 2017 – 619 KLs 7/16
und
Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18
Vorinstanz: Landgericht Berlin - Urteil vom 8. März 2018 – (502 KLs) 234 Js 339/13 (1/17)
Karlsruhe, den 3. Juli 2019
Vorschriften: §§ 212, 216, 323c, 13, 22, 23, 25 StGB
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 216 Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar.
§ 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen
(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Mit freundlichen Grüßen
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