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Presseartikel

Beim Tanzen spielt Herkunf keine Rolle

 Mitreißende Darbietungen beim Tag der Kulturen / Nur wenig deutsche Bürger nutzen die Chance Hessisch Oldendorf (ah). „Ich fühle mich nicht als Ausländer, sondern als Hessisch Oldendorfer“, erklärt Engin Aytug. 1972 kam der heute 63-Jährige als Gastarbeiter nach Deutschland. Arbeit fand der in Istanbul geborene Schuster in Schuhfabriken, später in der Teppichfabrik in Hessisch Oldendorf, wo er seit 1978 mit seiner Familie lebt. Aytug wollte in Deutschland arbeiten, Geld verdienen, dann aber in seine Heimat zurückkehren; seither sind 39 Jahre vergangen. Kamile Aytug, mit der er seit 40 Jahren verheiratet ist, folgte mit den erstgeborenen Kindern in das fremde Land nach. „Das Heimweh war groß“, verrät sie. Sie kümmerte sich um ihre acht Kinder, kam wenig unter Menschen, fühlte sich manches Mal allein, selten reiste die Familie in die Türkei. „Heute ist Hessisch Oldendorf unsere Heimat, wir haben uns angepasst“, sagt die 61-Jährige. Während sie selbst Deutsch zwar versteht, aber nicht fehlerfrei spricht, beherrschen ihre Kinder die Sprache fließend, haben alle eine Berufsausbildung und eine Arbeitsstelle, sofern sie nicht gerade ein Kind groß ziehen. „Am Anfang war unsere Mutter mit dem Kopf in der Türkei und nur mit den Füßen hier, jetzt ist sie auch mit dem Herzen hier“, beschreiben es ihre Töchter und fügen hinzu: „Unsere Familie ist voll integriert, hat türkische wie deutsche Freunde.“ Zusammen mit anderen Familien der ersten Gastarbeitergeneration verweilen Aytugs lange auf dem Tag der Kulturen. „Niemand sollte seinen Ursprung vergessen, jeder sollte seine eigene Kultur kennen“, betonen sie. Aber sie sind genauso offen für die Darbietungen aus anderen Kulturen, etwa die mitreißende afrikanische Trommelmusik von Klaus Hagedorn, Rufin Gandah und Migrationsberater Mustafa Boztüy. Zu wortlos funktionierender Integration führt Boztüys Zusammenspiel mit Sinan Demiray (Gitarre) und Cihan Akbaba (Saz). Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur tanzen begeistert Hand in Hand zur anatolischen Lyrikmusik auf dem Kirchplatz. Eine tolle Atmosphäre, allerdings: Beschämend wenige Bürger der Stadt wohnen dem gelungenen Kulturfest bei, nutzen nicht die Chance, Gemeinsamkeiten zu entdecken oder Vorurteile abzubauen.  „Multikulturelle Gesellschaft muss gelebt werden, auch indem Kultur hautnah erlebt wird“, betont der stellvertretende Landrat Helmut Schmiedekind. Hautnah wie die Tänze der Tamilalayam, eine Augenweide: junge, Schmuck behängte Tänzerinnen mit rot gefärbten Fußsohlen, darunter sogar Tanzweltmeister. Mit großer Leidenschaft präsentieren sich die ukrainische Gesangsgruppe und der Synagogenchor „Schalom“, mit viel Schwung die Lokalmatadoren, Selda Yasaroglus Mädchentanzgruppen. Spontan tritt Subakarthiga Punniyamoorthy aus Indien (36) auf die Bühne und tanzt für die Gäste – als Zeichen dafür, dass „ich mich wohlfühle“. „Ich freue mich über diese Menschen, diese Kulturen, diese Vielfalt“, sagt Besucherin Christa Iwan. „Die Chance nutzen, ins Gespräch zu kommen und andere über die eigene Arbeit zu informieren“, das ist für viele Teilnehmer Ziel des vierten Tages der Kulturen. „Oh happy day“ – optisch wie akustisch ist der Abschluss mit dem südkoreanischen Chor aus Hannover ein Genuss. „Wunderbar, Kultur in Hessisch Oldendorf mit all den Facetten zu erleben“, lobt Hermann Faust von der Stadtverwaltung. „Kontakte sind entstanden, Gespräche mit politischen Vertretern wurden geführt, das Thema Integration ist stärker in die Öffentlichkeit gerückt“, bilanziert Dr. Feyzullah Gökdemir. Hilfe zur Selbsthilfe, Vernetzung, das seien wichtige Punkte. „Migranten müssen mit Einheimischen reden, auch über ihre Ängste“, so der Integrationsbeauftragte des Landkreises. „Es gibt noch einiges zu tun, gerade in Sachen Bildung, da müssen wir uns vor allem für eine Frühförderung einsetzen.“ In Bildung, Akzeptanz und Toleranz sieht auch Bürgermeister Harald Krüger den Schlüssel zur Integration. „Die Verwaltung sollte viele Leute mit Migrationshintergrund an Land ziehen, das lässt Hemmschwellen sinken“, meint der 25-jährige Sozialarbeiter Oleksandr und plädiert für eine Kommunalwahl-Berechtigung für Migranten, die längere Zeit an einem Ort leben. (Dewezet Hameln vom Montag, 19. September 2011, Seite: 19)