Aus dem Jahr 2022
Inkontinenzversorgung unter Auswirkung des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG)
Verteiler: Fachbereich Pflege stationär und ambulant
hier: Inkontinenzversorgung unter Auswirkung des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG)
Sehr geehrte Damen und Herren,
aus Thüringen erreichte den Gesamtverband ein Schreiben des vdek, mit dem geltende Regelungen über die Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen für Bewohner von vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe widerrufen werden. Gleichzeitig wird den Einrichtungen die Möglichkeit eingeräumt, einem neuen bundesweiten Rahmenvertrag beizutreten.
Dabei wird nicht mitgeteilt, mit wem dieser Rahmenvertrag verhandelt wurde. Ferner wird der Eindruck vermittelt, dass die Einrichtung nur die Wahl hätten, dem Rahmenvertrag entweder beizutreten oder von der Inkontinenzversorgung Abstand zu nehmen. Das Mitteilungsschreiben des vdek sowie den angebotenen Rahmenvertrag nebst Beitrittserklärung finden Sie in der Anlage.
Wir empfehlen angesichts der unmittelbar bevorstehenden neuen Rechtslage, vorerst von einem Beitritt abzusehen bzw. die Vorteile eines Abschlusses genau zu prüfen.
Diese Empfehlung gilt für alle denkbaren Leistungserbringern der Inkontinenzversorgung, also ebenso für Einrichtungen der Eingliederungshilfe wie auch für Pflegeeinrichtungen.
Wie Sie wissen, wurde kürzlich das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) verabschiedet (siehe unsere Mail zum TSVG vom 21.03.2019).
Das TSVG ändert unter anderem § 127 SGB V, nach dem Verträge über die Versorgung mit Inkontinenzhilfen geschlossen werden. Die Änderung des § 127 SGB V bzw. die dort enthaltenen Klarstellungen sind vorteilhaft für die Leistungserbringer und entsprechen nach erster Einschätzung in vielen Punkten den langjährigen Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. Die Änderung tritt am Tag nach der Verkündung des TSVG in Kraft. Die Verkündung das TSVG im Bundesgesetzblatt steht unmittelbar bevor!
Die Änderung des § 127 SGB V hat mit der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages Eingang in das TSVG gefunden, vgl. Anlage, BT-Drucks 19/8351.
Die Änderungen des Wortlauts finden sich ab Seite 99 ff; die Begründung der Änderung ab Seite 228 ff..
Die Möglichkeit, die Inkontinenzversorgung im Wege des Vergaberechts auszuschreiben, wird abgeschafft. Vielmehr wird im neuen Absatz 1 geregelt, dass nunmehr die Verträge über die Versorgung mit Inkontinenzhilfen und anderen Hilfsmitteln zu verhandeln sind. Dabei sind jedem Leistungserbringe, seinem Verband oder Zusammenschlüssen der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen. Vertragsverhandlungen sind öffentlich zu machen, so dass jeder interessierte Leistungserbringer, Verband etc. daran teilnehmen kann. Zwar bleibt es nach dem neuen Absatz 2 bei der Möglichkeit, bestehenden und zwingend zu publizierenden Verträgen beizutreten. Es wird aber eindeutig klargestellt, dass keine Beitrittspflicht besteht, sondern Leistungserbringer stattdessen auch selbst verhandeln können, ggf. auf Grundlage bereits bestehender Verträge. Nach erster Prüfung bleibt allerdings die Frage, wie sich Leistungserbringer bei den Verhandlungen durchsetzen können, da das Gesetz keinen Konfliktlösungsmechanismus vorsieht, wie etwa eine Schiedsstellenregelung. Ein Recht auf Beitritt oder auf eigene Verhandlung besteht nach wie vor nur, soweit die Leistungserbringer nicht aufgrund bestehender Verträge bereits zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (neuer Absatz 2, Satz 1, entspricht der bisherigen Regelungen in Absatz 2a Satz 1). Mit einem Beitritt zum jetzigen Zeitraum würde man sich daher die Verhandlungsmöglichkeit für die Vertragszeitlaufzeit nehmen. Möglicherweise kann ein Abschluss aber sinnvoll sein, um eine Übergangszeit bis zum Abschluss eines neuen Vertrages zu überbrücken. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.
Bitte lesen Sie sich den neuen Gesetzeswortlaut und seine Begründung sorgfältig durch. Auf einige Stellen in der Gesetzesbegründung möchten wir sie aber vorab hinweisen (vgl. Anlage, BT-Drucks 19/8351, 228 ff):
"Die Sätze 1 und 2 in Absatz 1 stellen klar, dass die Verträge zwischen den Vertragsparteien zu verhandeln sind. Die Ergänzungen in Absatz 1 dienen außerdem der Klarstellung, dass es sich bei der Vertragsoption nach Absatz 1 nicht um das sogenannte Open-House-Modell handelt, bei dem die Vertragsbedingungen einseitig durch die Krankenkasse festgesetzt werden. [...] Demnach haben Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften jedem Leistungserbringer oder Verband oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen.
Bei Verträgen nach Absatz 1 handelt es sich um keinen öffentlichen Auftrag, da die Krankenkassen keine Auswahlentscheidungen treffen. So können die Krankenkassen keinen Leistungserbringer von der Versorgung mit Hilfsmitteln ausschließen, da alle Leistungserbringer bereits geschlossenen Verträgen nach Absatz 1 beitreten können. Sie treffen auch keine Auswahlentscheidungen hinsichtlich bestimmter Leistungserbringer, mit denen sie Vertragsverhandlungen führen, da sie jedem Leistungserbringer Vertragsverhandlungen ermöglichen müssen. [...] Bei Verträge nach Absatz 1 müssen jedoch die EU-rechtlichen Prinzipien der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und das Transparenzgebot beachtet werden. [...]
Es wird klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit, einem Vertrag nach Absatz 1 Satz 1 beizutreten, um ein Beitrittsrecht und nicht um eine Beitrittspflicht handelt. Die Krankenkassen können daher Vertragsverhandlungen nicht mit Verweis auf andere beitrittsfähige Leistungserbringerverträge ablehnen. Als Verhandlungsgrundlage kann hierbei ein bereits bestehender Leistungserbringervertrag dienen. Wird ein bestehender Vertrag im Rahmen von Vertragsverhandlungen mit einem weiteren Leistungserbringer angepasst, liegt ein neuer Vertragsschluss vor, auch wenn es sich nur um geringe Anpassungen handelt. Weitere Leistungserbringer können dem angepassten Vertrag oder dem ursprünglichen Vertrag beitreten."